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Gruppendynamik im Lager

Wer ein Lagerprogramm zusammenstellt, muss ganz viele Aspekte berücksichtigen: das Alter der Kinder, die Grösse des Lagerhauses, die Verteilung zwischen Mädchen und Knaben, die vorhandene Infrastruktur, das Gelände, die Grösse und die Erfahrung des Leitungsteams, die Dauer des Lagers, die Ziele des Lagers oder der Organisation (z.B. J+S, Jubla), die das Lager anbietet und viele mehr.

Diese noch unvollständige Liste zeigt rasch, dass es schwierig ist, allgemein gültige Empfehlungen für das Erstellen eines Lagerprogramms abzugeben. Ein wichtiger Aspekt, der aber in der Planungsphase meist etwas untergeht ist die Gruppendynamik. Es gilt zwar auch hier, das sich die Gruppe von Lager zu Lager anders verhält, aber es gibt ein paar Gesetzmässigkeiten, nach denen sich eine Gruppe in einem Lager entwickelt.


Allgemein

 Zwischen dem Kennenlernen zu Beginn und dem Abschied am Lagerende lassen sich verschiedene Phasen mit typischen Merkmalen unterscheiden und beschreiben. Diese Phasen sind nicht in jedem Lager gleich deutlich ausgeprägt und dauern auch nicht überall gleich lang. – es ist eben ein Modell.

Das Modell kann aber eine Orientierungshilfe sein, um Lösungen und Antworten für verschiedene Fragen zu finden:

  • Was beschäftigt die Lagerteilnehmenden im Moment?

  • Wie sieht das Beziehungsnetz aus?

  • Welche Programmpunkte sind der aktuellen Situation angepasst?

Niemand kommt auf die Idee, Kennenlernspiele am Lagerende zu machen. Aber was spricht dagegen, ein Nachtspiel schon am zweiten Lagerabend durchzuführen? Zu diesem Zeitpunkt wäre aber ein Fragequiz sinnvoller. Weshalb?

Die unten stehende Beschreibung verschiedener Phasen liefert vielleicht einige Antworten darauf.

Es sollen aber nicht Rezepte sein, sondern Anregungen und Denkanstösse.

Die Phasen werden in der Reihenfolge beschrieben, in der sie normalerweise in einem Lager auftauchen – Überschneidungen der Phasen sind üblich. Die Phasen sind vor allem in einem Lager deutlich ausgeprägt, in dem sich die Kinder und die Leitenden vorher kaum kennen.

Verschiedene Faktoren können den „normalen“ Phasenverlauf stören:

  • schwierige Gruppenzusammensetzung

  • Konflikte im Leitungsteam

  • belastende Ereignisse im Lager (ein Unfall, Krankheiten etc. )

  • Probleme im unmittelbaren Umfeld (Konflikte zwischen Eltern von Lagerkindern während eines laufenden Scheidungsverfahrens; ein Todesfall in der Familie etc. )

Es würde aber den Rahmen sprengen, an dieser Stelle auch noch auf Störungen einzugehen.


Die Gruppenphasen

Kennen lernen

Diese Phase ist geprägt durch Unsicherheit und dem Bedürfnis nach Orientierung. Die Kinder kommen voller Fragen im Kopf ins Lager:

·        Wer ist sonst noch da? Wo schlafe ich?

·        Hat es noch Kinder im gleichen Alter?

·        Wie sieht der Tagesablauf aus?

Diese Fragen beschäftigen die Kinder sehr. Entweder sind sie ziemlich zurückgezogen oder aufgedreht und laut. Beide Gruppen sind in dieser Phase meist dankbar, wenn ihnen die unausgesprochenen, aber gewünschten Informationen und Sicherheiten geliefert werden.

In den ersten Stunden bemühen sich alle, innerlich Ordnung zu schaffen. Die anderen Kinder und die Leitenden werden in Schemen eingeordnet: Der ist so laut, die dort ist sympathisch, jenen dort finde ich seltsam etc. So entstehen erste Urteile, die in den folgenden Tagen zu Vorurteilen führen können. Diese Einteilung in ein eigenes Schema nehmen übrigens auch die Leitenden vor, wenn sie aber ihre Beurteilung der Teilnehmenden immer wieder hinterfragen dürfte dies kein Problem sein. Grosse Konflikte sind in dieser Phase eher selten und die Autorität der Leitenden ist kaum umstritten.

Hinweise zur Pragrammgestaltung:

Gefragt sind Angebote, die dem Bedürfnis nach Orientierung, nach Sicherheit gerecht werden und von den Kindern nicht verlangen, dass sie jetzt schon stark mitwirken müssen. Nebst den klassischen Kennenlernspielen sind beispielsweise der Haus-OL oder der Fotoparcours geeignete Programmpunkte. Beide bieten die Möglichkeit, in überschaubaren Gruppen andere Kinder, das Haus und die Umgebung kennen zu lernen, ohne sich jetzt schon stark exponieren zu müssen.

Die Teilnehmenden erwarten, dass die Leitenden das Programm organisieren. Von den Kindern ist wenig Eigeninitiative zu erwarten. Steht das Lager unter einem Motto, sollte dieses jetzt eigeführt werden und sich als roter Faden durch das ganze Lager ziehen.

 Gruppenbildung und Grenzen erfahren

Die Lagerteilnehmenden wissen bereits nach kurzer Zeit, wie das Lagerleben funktioniert. Sie fühlen sich sicherer und beginnen mehr von sich zu zeigen. Kinder mit ähnlichen Interessen bilden Gruppen und innerhalb dieser Gruppen werden die einzelnen Positionen bestimmt. Konflikten mit anderen Gruppen, wird zu diesem Zeitpunkt noch ausgewichen, denn man sucht Gleichgesinnte. Kleine Konflikte zwischen einzelnen Kindern sind aber gut möglich, denn sie dienen dazu, die Positionen zu bestimmen.

Aufgestellte Regeln oder Anweisungen von Leitenden werden nicht mehr selbstverständlich hingenommen sondern hinterfragt. Es geht jetzt darum festzustellen, wo die Grenzen wirklich sind. Was wird noch toleriert? Gehen alle Leitenden mit den Regeln gleich um? Die Leitenden sind gefordert und müssen sich den Angriffen auf ihre Autorität stellen, Regeln begründen und wenn nötig auch durchsetzen. Gleichzeitig müssen sie ein Auge darauf haben, dass Kinder, die nicht so leicht Anschluss an eine Gruppe finden, nicht untergehen.

Hinweise zur Pragrammgestaltung:

In dieser Phase sind vielseitige Angebote gefragt, die es allen ermöglichen, irgendwo ihre Stärken und Interessen zu zeigen. Geeignet sind auch Aktivitäten, die kleinere Machtkämpfe zulassen und in geordnete, konstruktive Bahnen leiten können.

Eine wesentliche Mitgestaltung des Programms durch die Teilnehmenden ist in dieser Phase kaum zu erwarten. Experimente und grössere Anlässe (thematische Tagesprojekte) sind in dieser Phase noch nicht zu empfehlen: Die Gruppe ist noch zu wenig stabil. Das Leitungsteam kennt die Gruppe noch nicht genügend gut. Das ausloten von Grenzen, das zu dieser Phase gehört, kann bei einem grösseren oder riskanteren Anlass unberechenbare Situationen provozieren, die das Team und die Kinder überfordern.

Geeignete Programmpunkte sind kleine Wettkämpfe, Quiz und Postenlaufformen, gestalterische Aktivitäten in Gruppen mit Animation durch die Leitenden, bekannte Gesellschaftsspiele für drinnen und draussen. Beispiele aus diesem Buch: Bau einer Minigolfbahn, Spiele mit Bechern und Dosen, Wer wird mit Sugus-Millionär? Oder Spiel ohne Grenzen.

Wir-Phase

Es entwickelt sich das Gefühl „Zusammen sind wir das Lager XY!“. Interessengruppen, die sich in der zweiten Phase gebildet haben, bleiben zwar mehrheitlich bestehen, verlieren aber an Bedeutung. Kontakte zu anderen Gruppen oder auch zu einzelnen anderen Kindern werden neu aufgebaut und gepflegt.

Die Kinder beginnen, vermehrt selbst aktiv zu werden und Einfluss auf das Lagergeschehen zu nehmen. In der ersten Phase entwickelte Schemen über die einzelnen Personen beginnen sich zu verändern. Dass verschiedene Kinder verschiedene Fähigkeiten und Interessen mitbringen, wird oft sogar geschätzt und in Gruppenarbeiten auch genutzt.

Die Leitenden werden nicht mehr so stark als Gegenspieler oder Vorgesetzte wahrgenommen, sondern als Partner.

 Das in dieser Phase entstehende „Wir-Gefühl“ kann es auch mit sich bringen, dass Einflüsse von aussen wie Besucherinnen oder Besucher im Lager als Störung empfunden werden.

Hinweise zur Programmgestaltung:

Sofern das Gruppenklima gut ist, bietet diese Phase ideale Voraussetzungen für offenere Formen der Programmgestaltung, die auch Freiraum zum Experimentieren und zu Eigeninitiative ermöglichen. Die Gruppe ist ziemlich stabil, die Abläufe, Regeln und Normen haben sich entwickelt und sind für alle ziemlich klar. Alle wissen „wie es läuft“. Im Buch sind dazu einige geeignete Programme zu finden: Kindertag, Nachtspiele „Halt abgeleuchtet“ oder „Jagd nach dem Schnorchelmonster“, Künstler- und Kulturtag, Werbeshow und Radiotag.

Harmonie-Phase

Die Harmoniephase umfasst meist die letzten ein bis zwei Lagertage. Das Lagernde rückt näher und wird immer wieder ins Bewusstsein gerufen. Abklärungen für die Heimreise, Vorbereitungen für den Schlussabend und das Einpacken rücken ins Tagesprogramm.

Es entsteht das Gefühl, man sei eine grosse Familie. Neue Beziehungen verstärken sich noch und wollen ausgekostet werden. Die Phase bringt oft sichtbare Emotionen mit sich. Die einen freuen sich schon auf die Heimkehr, andere sind jetzt schon traurig über den bevorstehenden Abschied. Kinder, denen das Lager gefallen hat, blicken durch die rosarote Brille auf das Lager zurück - schwierigere Momente werden ausgeblendet.

Diese Phase ist oft geprägt von Hektik und Unruhe. Viele Kinder wollen im Lager noch Einiges erledigen und wollen auch ein letztes gemeinsames Erlebnis organisieren. Deswegen ist die Bereitschaft gross, z.B. bei einem Schlussabend etwas mitzugestalten, auch wenn die Vorstellungen, wie das aussehen soll oft sehr unterschiedlich sind. Darunter kann die Rücksichtnahme aufeinander etwas leiden.

Für Kinder, die im Lager nicht gut integriert sind, ist diese Phase eher mühsam, weil sie leicht etwas vergessen gehen, da alle – auch das Leitungsteam – mit irgendwelchen Abschlussaktivitäten beschäftigt sind.

Allgemein ist der Blick der Lagerkinder für die Realität etwas getrübt – oft auch unter jugendlichen Leiterinnen und Leitern. Sie blicken zurück durch eine rosarote Brille und die Wahrnehmung der aktuellen Situation ist oft reduziert oder wird ausgeblendet. Emotionen haben das grössere Gewicht als logische Argumente.

Wer hat beispielsweise schon einmal erlebt, dass die Kinder eine Disco am Schlussabend von sich aus ohne jedes Protestgeheul zum vereinbarten Zeitpunkt beendet haben, nur weil ihnen im Voraus erklärt wurde, dass alle am nächsten Morgen für die Heimreise früh aufstehen müssten und das Leitungsteam für den Schlussputz auch noch fit genug sein sollte?

Abschieds-Phase

Die eigentliche Abschiedsphase ist in einem Lager meist sehr kurz. Die Teilnehmenden spalten sich emotional in drei Gruppen auf:

  • Die einen, die nur noch darauf warten, bis die Eltern auftauchen und sie wieder in die vertraute Welt zu Hause bringen. Das bedeutet nicht, dass diesen Kindern das Lager nicht gefallen hat! Sie haben sich innerlich einfach schon vom Lager verabschiedet und beschäftigen sich bereits damit, was sie zu Hause als erstes tun möchten.

  • Eine andere Gruppe bilden die Kinder, die sich über den bevorstehenden Abschied gar nicht freuen und am liebsten ihre Ware gleich wieder auspacken und noch eine weitere Woche im Lager bleiben würden.

  • Und dann gibt es noch die Kinder, die sich gleichzeitig nach dem Zuhause sehnen und im Lager bleiben möchten: ein Hin- und Hergerissensein zwischen den beiden Wünschen, die sich ausschliessen.


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