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Prävention und Risikomanagement

Ein vorausschauendes Risikomanagement dient dem Schutz aller Seiten: Die Kinder und Jugendlichen werden vor Übergriffen und vor Ausbeutung geschützt, ebenso können aber auch Leitungspersonen vor Missverständnissen und Falschanschuldigungen geschützt werden.

Risikosituationen sind heikle Situationen im Alltag, welche für den schrittweisen Aufbau von Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen ausgenutzt werden könnten. Risikosituationen lassen sich oft nicht vermeiden, denn ein Null-Risiko ist nicht möglich. Es geht darum, diese Situationen sorgfältig und transparent zu gestalten. Risikosituationen sind immer heikel für alle Seiten. Für die Kinder, Jugendlichen und Leitende im Hinblick auf Grenzverletzungen und Übergriffe, für die Leitenden oder Erwachsenen im Hinblick auf Missverständnisse, Interpretationen und auch Falschanschuldigungen.

Beispiele von möglichen Risikosituationen

Zimmer/Zelte geschlechtergetrennt oder gemischt zu haben ist eine grosse und sensible Angelegenheit. Gerade jüngere TN brauchen einen Rückzugsort, in dem sie sich geschlechtergetrennt aufhalten können. Bei älteren Kindern und Jugendlichen beginnt die Neugier am anderen Geschlecht aber auch der Gruppendruck und die Pubertät kommt ins Spiel. Die Bedürfnisse können hier sehr unterschiedlich sein und nicht alle können ihre Bedürfnisse klar äussern.

 Auch die Leitungsteams dürfen nicht vergessen werden. Denn auch hier gibt es Leute, die sich unwohl fühlen können, in einem gemischten Zelt zu übernachten. Allenfalls gibt es da auch die Möglichkeit gemischte sowie ungemischte Zimmer anzubieten, dass alle Leitenden die Wahl haben und sich nicht exponieren müssen, wenn sie sich nicht wohl fühlen. Das gleiche gilt auch für Leitungskurse.

Fragen, die man sich stellen kann:

  • Welche Schlafmöglichkeiten bestehen?

  • Sind alle Involvierten in der Lage zu benennen, was sie für ihr Wohlbefinden brauchen?

  • Kann man ein einem Geschlechtergetrenntem Zimmer/Zelt übernachten?
    Wie schaffen wir es, dass sich alle wohlfühlen?

  • Kann ich sagen, dass ich nicht mit einem anderen Geschlecht im gleichen Zimmer schlafen möchte, ohne mich zu exponieren (Gruppendruck)?

  • Bis wie alt legen wir fest, dass die gewohnte Aufteilung nach Mädchen und Knaben angewendet werden soll?
    Wie handhaben wir es mit den Leitenden?

Abhängig von der Lagerunterkunft stehen keine Einzelduschkabinen zur Verfügung. Hier ist ein gutes Gespür für die individuellen Grenzen der Kinder und Jugendlichen aber auch der Leitenden gefragt. Es sollte besprochen werden, wie die Grenzen aller Involvierten gewahrt werden können. So kann es beispielsweise sinnvoll sein, dass die Duschgruppen in einem ähnlichen Alter sind, denn so ist die Entwicklung des Körpers ähnlich fortgeschritten. Allenfalls kann auch im Badezeug geduscht werden.

Auch kann es im Zeltlager so sein, dass zwei Leitende für die Kalt- und Warmwassermischung verantwortlich sein müssen.
Um zu wissen, ob die Wassertemperatur in Ordnung ist, müssen sie ständig in der Nähe des Dusch-Turms sein und sich mit Rufen mit den Duschenden verständigen.

Fragen, die man sich stellen kann:

  • Gibt es Einzelduschen oder Gemeinschaftsduschen?

  • Gibt es Duschzeiten (nach Alter, Geschlecht…)?

  • Wie wird die Privatsphäre ermöglicht?

  • Wie wann können die duschen, die sich in einer Gemeinschaftsdusche nicht wohl fühlen?

  • Wie verhindern wir, dass beim Duschen – von Menschen die das nicht tun sollten – zugeschaut wird?

Rituale sind wichtig für das Gemeinschaftsgefühl und sollen ihren Platz im Schar- und Lageralltag haben. Es ist jedoch sinnvoll, dass diese zwischendurch reflektiert werden und die Frage gestellt wird, was sie der Schar bedeuten und ob sie die Grenzen aller Beteiligten respektieren. Durch den Gruppendruck bei Ritualen ist die Gefahr, dass Grenzen überschritten werden (müssen), noch verstärkt. Teilweise genügen jedoch kleine Veränderungen damit alle sich wohl fühlen.

Fragen, die man sich stellen kann:

  • Haben wir Traditionen Rituale, die immer schon so waren, aber noch gar nicht hinterfragt wurden?

  • Führen wir gewisse Rituale durch, weil wir sie als schlimm erlebt haben und dieses Erlebnis auch weitergeben wollen?

  • Wie kann man bei unseren Ritualen/Traditionen nein sagen (Achtung Gruppendruck)?

  • Welche Rituale können Schamgefühl oder Ängste auslösen?

  • Wo wird Druck ausgeübt (auch unbewusst)?

  • Wie gehen wir mit Mitgliedern um, die nein sagen oder etwas nicht machen möchten?

  • Wie vermeiden wir psychische Grenzverletzungen?

Gibt es eine Alternative für diejenigen, welche mehr Raum brauchen, um sich wohlzufühlen?

Ein Beispiel ist der Wellnessabend. Er ist in den meisten Scharen ein fester Bestandteil des Lagerprogramms. So sehr die einen die Massage und die Sauna geniessen, so sehr scheuen sich die anderen davor. Nicht für alle ist partielle Nacktheit oder körperliche Nähe gleich angenehm. Wichtig ist es, Alternativen zu bieten. Dafür bieten sich eine Tee-Ecke, massieren mit Massagebällen über dem T-Shirt, Handmassagen oder Gesichtsmasken an. So können alle dabei sein und niemand muss seine Grenzen überschreiten.

Auch Programmpunkte bei denen sich TN exponieren können negative Gefühle auslösen. Nicht alle Kinder mögen z.B. vor eine große Gruppe stehen und etwas vorsingen oder lesen. Im Programm sollten daher Alternativen angedacht sein und eine sensible Grundhaltung für das Thema eingenommen werden.

Singrunden am Lagerfeuer gehören zum Scharalltag dazu. Oft wird hier auch nahe zusammen oder aufeinander gehockt. Besprecht im Leitungsteam, wie man damit umgehen kann, dass auch hier Nähe im Spiel ist, die bei allen Jugendlichen und Kindern individuell ist. Oft kann es einfach schon ausreichen, genügend Platz zu bieten und niemanden zu drängen.

Fragen, die man sich stellen kann:

  • Wo haben wir Programme mit viel Nähe und was gibt es für Alternativen?

  • Wann/wie erfahren die TN dass sie auch nein sagen können?

  • Kann man sich aus einzelnen Programmen zurück ziehen, ohne sich blosszustellen?

  • Wie vermeiden wir psychische Grenzverletzungen?

Im Leitungsteam gibt es immer wieder auch Liebesbeziehungen. Das ist völlig in Ordnung und normal. Dennoch ist man immer auch Teil eines ganzen Leitungsteam. Nicht nur das betroffene Paar, sondern auch die Mitleitenden sollen sich wohl fühlen.

Neben glücklichen können aber auch gescheiterte Beziehungen im Leitungsteam auftreten. Das kann die Gruppendynamik sowie die Bedürfnisse und Grenzen beeinflussen. 

Fragen, die man sich stellen kann:

  • Wie viel Zärtlichkeit ist in der (Jubla)Öffentlichkeit okey?

  • Wie/was kommunizieren wir den Mitgliedern, auch den Kindern?

  • Wie schaffen wir es, dass Verliebte oder andere Beziehungen die Gruppendynamik nicht negativ beeinflussen?

Praxistipp

Im besten Fall werden die Regeln einerseits im Leitungsteam aber auch mit den Kindern partizipativ erarbeitet und besprochen, um sie gleichzeitig rund um Grenzen zu sensibilisieren.


Prävention und Risikomanagement: Transparenter Umgang mit Risikosituationen

Beziehungsarbeit zu Kindern und Jugendlichen bedingt Nähe, damit sich die Kinder wohl fühlen. Auch wichtig ist die klare und schützende Distanz. Damit diese Balance im Alltag für angehende und erfahrene Leitungspersonen gelingt, braucht es Reflexion, Austausch und Transparenz zu konkreten Alltagssituationen (z.B. Übernachtungssituationen, Duschsituationen, Spielsituationen mit Körperkontakten usw.), welche zu Risikosituationen werden könnten.

Transparenz bei und Reflexion von Risikosituationen

Wer im Graubereich Grenzen überschreitet, ist noch kein/e Sexualstraftäter/in und steht nicht unter Verdacht. Er oder sie ist jedoch verpflichtet, sich der gemeinsamen Reflexion zu stellen, das eigene Verhalten zu überdenken und zu korrigieren bzw. den Haltungen des Leitungsteams anzupassen.

Folgende Reflexionsfragen sollen handlungsleitend sein bei der Gestaltung von Risikosituationen in den Teams, von Rahmenbedingungen und Aktivitäten. Risikosituationen können mit diesen Fragen bereits im Voraus bewusst angegangen werden und diese gehören somit zur Organisation einer Gruppenstunde, eines Lagers oder zur Planung eines Geländespieles oder Ateliers.

  • Wie gestaltet man Risikosituationen angemessen, kindgerecht und möglichst risikoarm?

  • Was passt zur Rolle und Auftrag als Hilfsleitende, als Jungleitende, als Leitende, als Hauptleitende oder Begleitperson in konkreten Risikosituationen (Rollenklarheit) und was ändert mit zunehmender Verantwortung und Macht?

  • Wann müssen wir andere Leitende, die Eltern oder die Kinder/Jugendlichen informieren und Transparenz schaffen?

Was Risikosituationen anbelangt besteht unter euch Leitenden ein grosses Vertrauensverhältnis. Trotzdem dürft ihr nicht den Anspruch verlieren, durch Transparenz einen gelingenden Umgang mit Risikosituationen zu optimieren und beizubehalten. Rund um Risikosituationen begegnet ihr euch als Leitende zwar vertrauensvoll, aber ebenso anspruchsvoll. Gegenseitige Rückmeldungen und Austausch zu Nähe und Distanz im Graubereich sind wichtig und explizit erwünscht. Durch diese Feedback-Kultur und die mit ihr kommenden Transparenz und Qualitätssicherung erschwert ihr, dass Risikosituationen schrittweise für den Aufbau von sexueller Ausbeutung ausgenutzt werden können. Schrittweiser Abbau von Distanz gehen einer Tat voraus, lange bevor es zur Straftat kommt und gehört mit zum strategischen Vorgang von Tätern und Täterinnen. Mit gemeinsamen Haltungen rund um heikle Situationen schafft ihr Schwellen für den Aufbau von Taten.

Sensibilisierung und grenzachtende Gruppenkultur

Zu lernen, dass Grenzen individuell ausgestaltet sind und viel Respekt erfordern, stellt eine zentrale Entwicklungsaufgabe dar. In diesem Prozess müssen Kinder und Jugendliche behutsam und aus einer achtsamen Distanz begleitet werden. Rigide Regeln, welche jegliches Experimentierverhalten unter Gleichaltrigen tabuisieren und damit Erfahrung und Begleitung verunmöglichen, sind kontraproduktiv und erhöhen das Risiko von sexuellen Übergriffen unter Kindern und Jugendlichen. Transparente altersgerechte Regeln helfen, untereinander positive Erfahrungen zu machen und vermitteln zugleich Sicherheit. Die Verantwortung für die grenzachtende Gruppenkultur unter Kindern und Jugendlichen tragen indes immer die Leitenden. Transparente Regeln bedingen deshalb auch geklärte Haltungen unter Leitenden.


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